Mein Mentee (im Bereich writing while trans) Merlin Ferox hat auf queer.de und bei Missy über einen trans Chor in Berlin geschrieben. Ich bin sehr stolz!.
Im Connewitzer Café Bäckertraum sitzen wir und blicken direkt auf ein Haus, das lange Jahre leer stand, 2020 besetzt und prompt geräumt wurde, erneut leer stand, dann luxussaniert wurde und nun zu hohen Mietzahlungen mehr oder weniger bewohnt scheint. Zuletzt eröffnete ein Späti im Untergeschoss, dafür wurden ein Altar samt Graffiti in Gedenken an einen verstorbenen Punker zerstört. Die damaligen Besetzer*innen sind mit Repression überzogen worden, Spuren einer Farbei-Attacke zeigen die Unzufriedenheit der Nachbar*innen mit dem Lauf der Dinge.
Ich bestelle Cappuccino und Menemen und meine Freundin Tamara erzählt mir von den neusten Trends auf dem Sex-Markt. Unserer Lieblingsthema!
Wir diskutieren über Kinky-Nackt-Zeichnen, queere Playfight Rituale und Sexological Bodywork. Insbesondere Letzteres beschäftigt mich.
Sexological Bodywork ist eine Form der Körperarbeit, die die Sexualität in den Fokus nimmt. In Einzelsessions oder Gruppen-Workshops kann mensch sich mit dem eigenen Körper, der Geschlechtsidentität, dem Begehren und der Lust auseinandersetzen. Traumasensibilität wird dabei hoch gehalten und grundsätzlich steht die Heilung (bspw. von Blockaden, alten Glaubenssätzen, Scham,…) im Vordergrund. Sexological Bodyworker*innen müssen eine teure, lizenzierte Ausbildung durchlaufen, zu der auch eine feste Anzahl von Sessions gehört, die sie bei bereits fertig ausgebildeten Sexological Bodyworker*innen in Anspruch nehmen. Am Ende der Ausbildung lockt die Freiheit eines selbständigen, kreativen und heilenden Berufs und natürlich ein gutes Einkommen, da die Stundensätze von Bodyworker*innen so „selbstbestimmt“ (also marktbestimmt) festgelegt werden wie die von Coaches.
Die ökonomische Realität ist dann, ähnlich einem Pyramidensystem, doch anders. Es können ja niemals ausreichend neue Bodyworker*innen ausgebildet werden, um die Terminkalender der älteren Semester dauerhaft zu füllen.
Insbesondere für Bodyworker*innen, die sich auf trans* und queere Klient*innen spezialisieren (meist weil sie selbst trans* und queer sind), steht gar keine ausreichend zahlkräftige Community außerhalb der Bodywork-Azubis zur Verfügung. Auch wenn viele queere Menschen sich die Benefits dieser Körpertherapie wünschen würden, können sie es sich selten leisten.
Ungeachtet dessen platzieren Sexological Bodyworker*innen ihr Marketing in den Email-Verteilern und Telegram-Channels, die sich die queeren Communities aufgebaut haben.
Ich nehme noch einen Schluck von dem Cappuccino, zu dem Tamara mich eingeladen hat, obwohl ich schon zuviel Koffein intus habe und meine Gedanken rasen. Ich frage immer schneller und schneller, aber Tamara scheint es nicht zu stören.
„Warum ist das denn so ein Trend?“, frage ich sie. „Warum brauchen die Leute immer ein ganzes Konzept dahinter? Es geht doch bloß um Sex!“
Sie sagt: „Es geht um Überhöhung. Es kann nicht einfach nur um den Trieb gehen. Die Lust muss überhöht werden.“
Der Spaß, die körperlichen Bedürfnisse und Freuden dürfen nicht einfach nur als solche sein. Sie müssen mit intellektuellen, spirituellen oder medizinisch-heilkundlichen Konzepten aufgeladen werden.
„Das ist das gleiche wie mit der sogenannten Sexualbegleitung“, sagt sie. Tamara ist Sexarbeiterin, sie kennt sich aus. Auch für die inklusive Sexarbeit, was sie selbst als Begriff nutzt, können Menschen sich fortbilden, um dann (scheinbar) besonders qualifiziert zu sein für Menschen mit Behinderungen. Die sogenannten Sexualbegleiter*innen werden nicht als schnöde Sexdienstleister gesehen, sondern als noble Helfer*innen. Ihren Klient*innen wird in diesem Framing die Sexualität abgesprochen, pure Befriedigung können sie gar nicht wollen, sie müssen geheilt und begleitet werden.
Eine ähnliche Distanzierung lässt sich bei professionellen Tantra-Dienstleister*innen beobachten. Sie protestierten 2017 bei der Einführung des Prostituierten-Schutz-Gesetz dagegen, als Sexarbeitende eingestuft zu werden. Das Gesetz an sich, das Sexarbeitende diskriminiert, schien sie dabei weniger zu stören. Ihr Selbstbild ist, dass sie zwar im Bereich der Sexualität und Erotik arbeiten, jedoch überhöht, als spirituelle, heilsame Praxis.
So schreibt ein Leipziger Anbieter auf seiner Website: „Seriöse Tantramassage, die mit spiritueller Ausrichtung der Erbringenden verbunden ist und nicht das „happy End“ zum Ziel hat, gehört nicht unter dieses Gesetzt.(sic!)“
Ich sage zu Tamara: „Ich kann es irgendwie auch verstehen. Die Leute suchen nach einem Sinn. Alles ist so sinnlos, wir sind von Gewalt und Sinnlosigkeit umgeben und die Leute sehnen sich danach, dass irgend etwas von Bedeutung ist.“
Mein Exfreund A. fällt mir ein, ein kinky trans Anarchist vom Sternzeichen Krebs, der Himbeeren liebt und mich für einige Jahre in sein Polykül aufnahm, das sich von Stockholm über Berlin, Kopenhagen und Ludwigsburg erstreckte und in dem mit Vorliebe über Attachement Theory diskutiert wurde. Ein durchweg optimistischer Mensch. Wenn er sich von der politischen Lage entmutigt fühlte, sah er sich Bilder von Bonobo-Affen an. Er zeigte mir einmal seinen Fotoband, in dem ihr kollaboratives Verhalten und ihre komplexen Beziehungen zueinander dargestellt wurden.
Er sagte: „Wir Menschen sind eng mit ihnen verwandt. Es tut gut, mich daran zu erinnern, dass wir eigentlich dafür gemacht sind, so miteinander umzugehen wie diese Affen.“

Wir Menschen finden, als Spezies, Erfüllung darin, sozial und kollaborativ zu leben. Deshalb können diese individualistischen Suchbewegungen nach Sinn, nach Bedeutung, nach Halt, niemals zu Erfüllung finden. Diesen Sinn finden wir erst und nur in Gemeinschaft.
In diesem Trend zur Überhöhung, wie Tamara es nennt, steckt eine hurenfeindliche Struktur, die aus dem patriarchalen Christentum kommt: Die Befriedigung der Triebe ist schmutzig. Lust an sich ist kein Wert. Sex ohne Sinn ist pervers und Perversion ist etwas Schlechtes. Wer einfach nur Sex hat oder haben will sündigt.
Wenn man bedenkt, dass nicht einmal das Wort „Sex“ auf Social Media Plattformen unzensiert ausgeschrieben werden kann, ist es nachvollziehbar, dass es für Sexualität eine Legitimierung braucht.
So finden sich in den Emailverteilern und Telegram-Gruppen, von denen ich sprach, niemals Angebote von herkömmlichen Sexarbeitenden. Niemand bietet dort sexuelle Dienstleistungen an, die nicht in eine Überhöhung, einen spirituellen oder heilenden Rahmen eingebettet sind. Dabei waren es Sexarbeitende, die in den letzten Jahren den sexuellen Diskurs in der Community öffneten, während sie mit Stigma, Outing und Ausschlüssen zu kämpfen hatten.
Die Bedeutungssuche in der Sexualität, die die Sünde nicht affirmiert, sondern zu umgehen versucht, irritiert mich. Doch noch mehr irritiert mich paradoxerweise die Sinnlosigkeit, die ich in der Bedeutungssuche erkenne:
Die Überhöhung der eigenen Bedürfnisbefriedigung schafft eine Distanz zum Körper und führt die Scham fort. Sie führt den Glauben fort, dass an jenen körperlichen Bedürfnissen etwas nicht stimme. Dabei müssen wir doch unsere Bedürfnisse zentrieren: Sowohl das nach Sex (auch wenn natürlich nicht jeder Mensch dieses Bedürfnis hat), als auch das nach Beziehung und Gemeinschaft.
Ich denke schon, dass der Weg zu größerer Kollektivität auch über die Selbsterkenntnis der*des Einzelnen, über Heilung und Traumaarbeit, über Lust und Selbstausdruck führt.
Doch der Kompass muss immer wieder ausgerichtet werden:
Der Weg und das Ziel sind das Zusammen, das Füreinander. Erst daraus entsteht der Sinn unserer menschlichen Spezies.
…Interessanterweise ist es derzeit die Bundeswehr, die auf Plakaten mit dem Versprechen von Gemeinschaft und der Auflösung des Individuums im Kollektive wirbt. Logisch: Abgesehen von dem prekären Gemeinschaftsgefühl, das Menschen in der kollektiven Erniedrigung des Kriegsdienstes spüren, hat sie nur Tod und Zerstörung zu bieten.
My mentee (in the field of writing while trans) Merlin Ferox recently published pieces on queer.de and in Missy Magazine about a trans choir in Berlin. I’m so proud!
similar to a pyramid scheme, different.
At the Connewitz café Bäckertraum we sit and look directly at a building that stood empty for many years, was squatted in 2020 and promptly evicted, stood empty again, then “luxury-renovated,” and now seems only partially lived in at unaffordable rents. Most recently, a Späti opened on the ground floor, but for that, an altar and graffiti in memory of a deceased punk named Eddie were destroyed. The squatters at the time were heavily repressed; traces of a paint attack still mark the neighbors’ discontent with how things turned out.
I order cappuccino and menemen, and my friend Tamara tells me about the latest trends on the sex market. Our favorite topic!
We discuss kinky nude drawing, queer playfight rituals, and sexological bodywork. It’s the latter that keeps me thinking.
Sexological bodywork is a form of bodywork that centers sexuality. In one-on-one sessions or group workshops, people can explore their own bodies, gender identities, desires, and pleasure. Trauma sensitivity is emphasized, and the focus is on healing (for example, from blockages, old beliefs, shame …). Sexological bodyworkers must complete an expensive, licensed training program, which includes a set number of mandatory sessions with already certified practitioners. At the end of the training, the promise is freedom — a self-directed, creative, healing profession, and of course a good income, since session fees are chosen freely by the practitioner (meaning: by the market), much like those of coaches.
But the economic reality is, similar to a pyramid scheme, different. There can never be enough bodyworkers in training to fill the calendars of the older practitioners sufficiently. Especially for bodyworkers who specialize in trans and queer clients (usually because they themselves are trans and queer), the potential paying community outside of new trainees is simply too small. Many queer people might want the benefits of this body therapy, but few can actually afford it.
Nevertheless, sexological bodyworkers place their marketing in the mailing lists and Telegram channels that queer communities have built for themselves.
I take another sip of the cappuccino Tamara treated me to, though I already have too much caffeine in my system and my thoughts are racing. I start asking questions faster and faster, but Tamara doesn’t seem to mind.
“Why is this such a trend?” I ask her. “Why do people always need a whole concept behind it? It’s just about sex!”
She says: “It’s about elevation. It can’t just be about instinct. Pleasure has to be elevated.”
Fun, bodily needs, and joys can’t just exist for their own sake. They have to be wrapped in intellectual, spiritual, or medical-healing concepts.
“It’s the same with what they call sexual assistance,” Tamara says. She’s a sex worker, she knows what she’s talking about. Even for what she calls inclusive sex work, people can get special training and then appear (supposedly) particularly qualified to work with disabled clients. These so-called “sexual assistants” are not seen as plain sex workers but as noble helpers. Within this framing, clients are denied their sexuality: they cannot simply want pleasure; they must need to be healed and guided.
A similar pattern of distancing can be observed with professional Tantra providers. In 2017, when the Prostitute Protection Act was introduced, they protested against being categorized as sex workers. The law itself, which discriminates against sex workers, did not seem to bother them as much. Their self-image is that, while they do work with sexuality and eroticism, it is “elevated” — as a spiritual, healing practice.
A Leipzig provider writes on their website: “Serious Tantric massage, linked to the practitioner’s spiritual orientation and not aimed at the ‘happy end,’ does not belong under this law.”
I say to Tamara: “I can kind of understand it. People are searching for meaning. Everything feels so meaningless, we’re surrounded by violence and senselessness, and people long for something to matter.”
I think of my ex-boyfriend A., a kinky trans anarchist Cancer who loved raspberries and welcomed me into his polycule for several years, which stretched from Stockholm to Berlin, Copenhagen, and Ludwigsburg, where discussions about attachment theory were a favorite pastime. An ever-optimistic person. When he felt discouraged by politics, he looked at pictures of bonobos. He once showed me his photo book, which portrayed their collaborative behavior and complex relationships.
He said: “We humans are closely related to them. It helps me remember that we’re actually made to relate to each other the way they do.”

As a species, we find fulfillment in social and collaborative living. That’s why these individualist searches for meaning, for grounding, can never lead to true fulfillment. We only find that meaning in community.
In this trend toward elevation, as Tamara calls it, lies a whorephobic structure rooted in patriarchal Christianity: the satisfaction of desire is dirty. Pleasure in itself has no value. Sex without meaning is perversion, and perversion is bad. Anyone who simply has sex or wants sex is sinning.
Given that even the word “sex” cannot be spelled out uncensored on social media, it’s no surprise that sexuality needs constant legitimization.
That’s why you never see ads for plain sex work in those mailing lists and Telegram groups. No one offers sexual services there that aren’t wrapped in a framework of elevation, spirituality, or healing. And yet it was sex workers who opened up sexual discourse in the community in recent years, even as they faced stigma, outing, and exclusion.
The search for meaning in sexuality — one that doesn’t affirm “sin” but tries to work around it — unsettles me. And paradoxically, what unsettles even more me is the meaninglessness I see in that search for meaning:
The elevation of one’s own need for satisfaction creates a distance from the body and continues the cycle of shame. It continues the belief that there’s something wrong with those bodily needs. But we have to center our needs: for sex (though of course not everyone has this need), and for connection and community.
I do believe that the path toward greater collectivity runs through individual self-discovery too — through healing and trauma work, through pleasure and self-expression.
But the compass must always be recalibrated:
The path and the goal are togetherness, for each other. That is where the meaning of our species lies.
… And interestingly, it is currently the German army that advertises on posters with the promise of community and the dissolution of the individual into the collective. Which makes sense: apart from the precarious feeling of belonging people may find in the collective humiliation of military service, all else it has to offer is death and destruction.