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Als das Kollektiv Technocandy vor fünf Jahren die Anti-Rassismus-Klausel in unsere Verträge schreiben wollte, verweigerte sich das Theater, an dem wir gastierten. Bis zur Premiere arbeiteten wir ohne Vertrag und sahen uns gezwungen, diesen Zustand öffentlich zu machen. Dabei enthält die von Sonja Laaser und Julia Wissert entwickelte Klausel für darstellende Künstler_innen lediglich die Vorgabe, dass, sollte es in der betreffenden Produktion einen rassistischen Vorfall geben, das Theater eine Maßnahme oder einen Workshop durchführen muss.
Technocandy gibt es heute nicht mehr, aber in meiner Schublade liegt noch der Brief des damaligen Verwaltungschefs des Theaters. Denn nachdem wir uns am Tag unserer Premiere (!) gegen einen diskriminierenden Vorfall durch Mitarbeitende des Hauses wehren mussten, erhielten wir wenig später jeweils individuelle Anschreiben von ihm in der Post. Mir wurde vorgeworfen, andere Menschen bedroht zu haben usw.
Bei allem Backlash konnten wir uns schon „damals“ an DAC wenden. Der Verein Diversity Arts Culture berät seit 2017 Künstler_innen verschiedener Sparten im Diskriminierungsfall. Darüberhinaus hat DAC ein Glossar erarbeitet, das landesweit von Kultureinrichtungen genutzt wird. Vor allem aber prägt DAC das kulturpolitische Geschehen auf mehreren Ebenen mit. Neben der Beratung von Individuen, wie uns, begleitet DAC nämlich auch Insititutionen und wirkt auf die Senatsebene ein.
Aktuell bin ich mit DAC über die Diversitätsoffensive verbunden. Dies ist ein Programm, dass von DAC und der Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt entwickelt wurde. Ein Pilotprojekt, an welchem fünf große Berliner Kultureinrichtungen über drei Jahre hinweg teilnehmen, um Antidiskriminierung und „Diversität“ an ihren Häusern voranzutreiben.
Mein Job ist, als einer der Critical Friends, die Offensive zu evaluieren.
Zu Beginn unserer Arbeit in der Diversitätsoffensive 2023 stand ich dem Programm agnostisch gegenüber. Ich sagte mir: Wir werden ja sehen, ob das was bringt…
Meine eigenen Erfahrungen mit Insititutionen waren schließlich nicht sehr hoffnungsvoll. Nun sind zwei Jahre vergangen und ich bin optimistischer geworden. Meinem Eindruck nach gibt es ein derzeit Verständnis in Insititutionen, dass Antidiskriminierung wichtig ist und Zeit und Ressourcen braucht. Denn selbst, wenn alle an einem Strang ziehen, ist es immer ein Kampf gegen den patriarchalen, kapitalistischen, rassistischen, ableistischen Status Quo, an uphill battle.
Manches ist heute anders als 2019. Doch mit Blick auf den DAC-Zeitstrahl sehen wir, dass Veränderung nicht linear verläuft.
Wenn ich an die Kürzungen im Berliner Haushalt denke, kann ich nicht guten Gewissens schreiben, dass „unser“ Platz im Kulturbetrieb in Gefahr ist. Denn wir haben diesen Platz noch gar nicht. Wir sind aber dabei, ihn zu erstreiten.
Mit diesem Streit geht eine Umstrukturierung einher, denn Diskriminierung braucht Autorität und Ungleichheit, Gewinner_innen und Verlierer_innen, Oben und Unten.
Aus konservativer Sicht macht es also Sinn, nicht nur DAC sondern gleich die ganze Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung, unter deren Dach sich neben DAC vier weitere Initiativen befinden, einzustampfen:
kultur_formen, die jährlich über 200 Projekte der kulturellen Bildung im gesamten Berliner Stadtraum fördern und damit über 5.000 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Chance auf kulturelle Teilhabe ermöglichen
das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung, das Daten zur Wirksamkeit von Kulturfördermaßnahmen erhebt
das Servicezentrum Musikschulen, das berlinweit Chancengleichen Zugang zu musikalischer Bildung fördert
die Kulturraum gGmbH, die Arbeitsräume für mehr als 2.500 Berliner Künstler*innen schafft
Der Bereich Kultur ist winzig, gemessen am Berliner Gesamthaushalt. Doch rechte Politik hat ihn seit langem im Fokus. Denn Kunst und Kultur, die sich frei äußern darf und in der sich alle gesellschaftlichen Gruppen ausdrücken können, ist ein Hindernis für das rechte Projekt.
Der Verwaltungschef schrieb mir 2019 in seinem Brief, ich sei nur ein Gast und solle mich als solcher auch benehmen.
Aber das stimmt nicht. Wir sind nicht zu Gast. Es sind auch unsere Institutionen, es ist auch unser Kulturbetrieb. Um das zu verwirklichen, brauchen wir Antidiskriminierung und Machtkritik. Dafür brauchen wir DAC.
Wer schnell ist und fleißig den Newsletter gelesen hat, kann heute, am 25.11. um 13:00 gegen die Kürzungen demonstrieren. Vor dem Abgeordnetenhaus Berlin, Niederkirchstr. 5, 10117 Berlin
Neulich sprach ich bei einem Podium der Bubble Bar in Leipzig über das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz, hören könnt ihr’s hier. (Das Gespräch beginnt ab ca. Minute 20…)
Außerdem berichten wir Critical Friends am 6.12. von unserer Arbeit in Diversitätsoffensive bei der Fairstage Konferenz in Berlin, vielleicht sieht mensch sich ja dort!
it's our cultural sector as well
When Kollektiv Technocandy wanted to include the anti-racism clause into our contracts five years ago, the theater where we were performing refused. We worked without a contract until the premiere and felt compelled to make this situation public. The clause developed by Sonja Laaser and Julia Wissert for performing artists only contains the stipulation that if there occurs a racist incident during the production, the theater must carry out a measure or workshop.
Technocandy no longer exists today, but I still have the letter from the theater's head of administration at the time in my drawer. Because after we had to defend ourselves against a discriminatory incident by employees of the theater on the day of our premiere (!), we received individual letters from him in the mail shortly afterwards. I was accused of having threatened employees of the theater and so on.
Despite all the backlash, we were able to turn to DAC already “back then”. Diversity Arts Culture has been counselling artists from various disciplines in cases of discrimination since 2017. DAC has also developed a glossary that is used by cultural institutions across the country. Above all, however, DAC helps shape cultural policy at several levels. In addition to advising individuals like us, DAC also supports institutions and influences the Senate level. I am currently connected to DAC via the Diversitätsoffensive campaign. This is a program that was developed by DAC and the Senate Department for Culture and Social Cohesion. It is a pilot project in which five major cultural institutions in Berlin are participating over three years to promote anti-discrimination and “diversity” at their venues. As one of the Critical Friends, my job is to evaluate the campaign.
At the beginning of our work in the Diversitätsoffensive 2023, I was agnostic about the program. I said to myself: we'll see if it works...
After all, my own experiences with institutions were not very hopeful. Now two years have passed and I have become more optimistic. My impression is that there is currently an understanding in institutions that anti-discrimination is important and takes time and resources. Because even if everyone is on the same page, it is always a fight against the patriarchal, capitalist, racist, ableist status quo, an uphill battle. Some things are different today than they were in 2019. But looking at the DAC timeline, we see that change is not linear.
When I think of the cuts in the Berlin budget, I cannot in good conscience write that “our” place in the cultural sector is in danger. Because we don't even have this place yet. But we are in the process of fighting for it.
This fight goes hand in hand with a thorough restructuring, because discrimination needs authority and inequality, winners and losers, top and bottom.
From a conservative point of view, it therefore makes sense to shut down not only DAC but also the entire foundation Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung, under whose umbrella there are four other initiatives in addition to DAC:
kultur_formen, which supports over 200 cultural education projects throughout Berlin every year, giving over 5,000 children, teenagers and young adults the opportunity to participate in culture
the Institut für Kulturelle Teilhabeforschung, which collects data on the effectiveness of cultural promotion measures
the Servicezentrum Musikschulen, which promotes equal access to music education throughout Berlin
Kulturraum gGmbH, which creates workspaces for more than 2,500 Berlin artists
The cultural sector is tiny compared to Berlin's overall budget. But right-wing politicians have long been focusing on it. This is because art and culture, when they are allowed to express themselves freely and when all social groups can express themselves, are an obstacle to the right-wing project.
In 2019, that head of administration wrote to me in his letter that I was just a guest and should behave as such.
But that's not true: we are not guests. Those are our institutions as well, it's our cultural sector as well. In order to realize this, we need anti-discrimination and a critique of power. We need DAC.
If you are quick and have read the newsletter first thing, you can demonstrate against the cuts today, November 25 at 13:00. In front of the Berlin House of Representatives, Niederkirchstr. 5, 10117 Berlin
I recently spoke on a panel at Bubble Bar in Leipzig about the so-called self-determination law (Selbstbestimmungsgesetz), you can listen to it here in German. (The conversation starts after 20 minutes...)
We Critical Friends will be reporting on our work with Diversitätsoffensive at the Fairstage conference in Berlin on December 6th, maybe we'll see each other there!