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Es gibt im Leipziger Kolonialzoo gleich beim Eingang

Aktualisiert: 11. Sept. 2023


28. Okt. 2022 um 21:04


ein Zelt von BMW, darunter steht ein Elektroauto und zwei Personen in Polyestershirts von BMW, die jung und gar nicht wie klassische Autoverkäufer*innen aussehen. Auf den Eintrittspreis von 21 Euro wird ein Euro für den Artenschutz aufgeschlagen, außer man sagt dazu, dass man das nicht bezahlen möchte.

Ich setze mich dann zuallererst ins Café, weil ich noch keinen Kaffee getrunken habe und mich ganz belämmert fühle. Auf der Speisekarte wird ein Afrika-Frühstück angeboten. Ich bestelle eine heiße Schokolade mit Hafermilch und einem Espresso. Der Platz vor dem Café ist belebt. Auf einem Podest liegt ein Kürbis so groß wie meine Badewanne, er ist eingewickelt in Klarsichtfolie. Kinder setzen sich neben ihn.

Um einen Dinosaurier ist ein Zaun gebaut, der mit Girlanden und mexikanischen Día de los muertos-Totenköpfen geschmückt ist. Ein Exfreund hatte mir vor vielen Jahren mal ein Armband von seiner Indienreise mitgebracht (oder vielleicht war das Armband aus Tibet? Er war so viel gereist, dass ich den Überblick verloren habe), das bestand aus hölzernen Totenköpfen. Er wollte mich damit ermuntern, dass ich meinen Körper weniger ernst nehmen sollte. (Ich machte mit meinem Körper das, was man in einer patriarchalen Gesellschaft damit macht, wenn man die ganzen Gefühle nach innen kanalisieren möchte.)

An einige Bäume sind Kürbisse gelehnt, sie haben handelsübliche Größen und liegen auf Strohballen. Ich empöre mich weiter über den Euro zum Arterhalt und denke: Ihr wollt einen Euro extra, nachdem das ganze Konzept Zoo Teil von und Symbol für koloniale Herrschaft und Zerstörung ist, ohne die das Artensterben gar kein Thema wäre? As if :(


Ich bin für eine Recherche in den Zoo gegangen. Ich beschäftige mich gerade mit dem Thema Walross. Es gibt in Leipzig leider keine Walrösser. Wobei es für die Walrösser sicherlich besser so ist.


Im Aquarium wird der dreijährige Fritz ausgerufen. Die pazifische Tiefseequalle vegetiert zu zwanzigst auf 150x150x30cm vor sich hin, ihr Aquarium besteht aus Beton und Glas. Kein Gräslein, kein Geröllstückchen, nichts. Was hat sie nur getan, um dieses Leben zu verdienen? Ich denke, die Antwort lautet: Sie kann so leben, also muss sie es. Das ist ja das Konzept von Gefängnissen, auch der Mensch kann mit sehr wenig Deko und Stimulation dahin vegetieren.

Der dreijährige Samson wird ausgerufen, bevor ich weiß, ob Fritz schon gefunden worden ist. Sein Opa wartet auf ihn bei der Bärenburg. Der vierjährige Pascal wiederum wartet auf seine Angehörigen am Bärencafé. Ich gehe weg.


Bei den Elefanten beginnen meine Kopfschmerzen. Es sind zu viele unerfreuliche Energien in der Luft. Die Tiere spüren sie jeden Tag. Das Ohr eines Elefanten sieht schon ganz wund und schlabberig aus. Er trottet aus meinem Sichtfeld und ich stelle mir vor, wie er seinen Pfleger mit dem Rüssel erschlägt. Ich höre an einer Tafel einen Audiobeitrag über das Leben der Elefanten. Die Anführerin einer jeden Herde ist eine Elefantenkuh, auch im Zoo. Wenn aber ein Pfleger das Gehege betritt, ist automatisch er der Anführer. Ein Kind drückt auf einen anderen Audioknopf auf der Tafel, mein Beitrag bricht ab, das Kind rennt weiter.


Die Seerobben sollen bei der Fütterung Kunststücke machen. Die Pfleger* innen haben Sonnenbrand. Nach der Fütterung socializen sie noch ganz lange mit den Robben, die Robben wollen sich einfach nicht verabschieden. Sie hoffen, dass es noch mehr Fische für sie gibt. In ihrem Becken existieren außer ihnen selbst keine anderen Lebewesen, daher können sie sich nicht selbst welche fangen. Ich bin erschöpft. Im Gondwanaland, das ist ein riesiges Gewächshaus mit 28 Grad, wird mein Kreislauf schwach. Ich trotte zusammen mit den anderen Besucher* innen durch das Gewächshaus. Hier gibt es viel zu viel zu sehen! Ich höre, wie ein Mann seinen Schwager fragt, was er davon hält, dass einige Anteile am Hamburger Hafen von chinesischen Firmen erworben worden sind. Nach all den Jahren erkenne ich die Stimme ganz genau: Es ist die Stimme eines Verschwörungsgläubigen, der immer neue, tagesaktuelle Gesprächseinstiege findet, um seine Tiraden rausballern zu können.

Der Schwager sagt, dazu hat er keine Meinung. Das ist die Antwort derer, die nicht an Verschwörungsmythen glauben und einfach nur einen konfliktarmen Nachmittag im Zoo verbringen wollen.


Ich esse mein mitgebrachtes Essen vor einer Statue von Jason. Jason ringt mit bloßen Händen zwei Bullen nieder. Ein Kind zeigt darauf und sagt, der hat sich am Kopf verletzt! Ich denke, damit ist der goldene Helm gemeint, den Jason auf dem Kopf trägt. Neben mir sitzt eine Person und raucht eine Kippe, was ich gut verstehen kann. Eine Statue von Medea gibt es nicht, aber wie sollte man sie auch darstellen, wütend und mit ihren toten Kindern im Arm? Vielleicht ist sie im Zoo als Ganzem verkörpert - eine monströse Frau ohne Heimat. Die man einsperren, anstarren und zu festen Zeiten füttern muss.


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