Für Schnelle: Heute am 31.10. lese ich den nachfolgenden Text bei der Veranstaltung Gnocchi Horror Triple Feature in Leipzig, die als eine von vielen Gegenveranstaltungen zur rechten Buchmesse in Halle an der Saale stattfindet. Um 19:00 Uhr in der Wächterstraße 34. Komm vorbei!
Im Sommer sprach ich nochmal mit Anna vom #kulturrelevant Podcast, diesmal über Kulturpolitik, Humor und Vergesellschaftung. Hier könnt ihr den Beitrag nachhören:
Außerdem möchte ich euch auf die lesenswerten, neuen Texte von meinem*r Mentee Merlin Ferox aufmerksam machen: Über den Geschlechtseintrag “divers” und über die Selbstorganisierung russischer Anarchist*innen im deutschen Exil.
Aber jetzt zum Text:
Eine Anti-Aging-Maske wirkt ein, während ich an diesem Text arbeite. Sie soll meine Haut nähren, damit sie keine Trockenheitsfältchen bildet. Ganz glatt wird mein Gesicht, auf dass ich noch ein bisschen mehr Zeit habe, bevor ich alt bin. Die weiße Masse in meinem Gesicht duftet nach Creme und meine Mitbewohner*innen rufen bewundernd ohhh! Sie interpretieren die Maske als Selfcare und freuen sich für mich.
Seit ein paar Wochen wohne ich in Wien, für ein Studium in Sprachkunst bin ich hergekommen und eine Gen-Z-WG inklusive zweier Katzen in Wien-Hernals hat mich aufgenommen. Meine Tage verbringe ich am Schreibtisch, lesend, schreibend, lesend; für Pausen muss ich mir einen Wecker stellen. Damit ich dann auch wirklich vom Schreibtisch aufstehe, widme ich mich meinen Pflegeroutinen, von denen die meisten eine Form von Anti-Aging-Maßnahmen darstellen.
In der Recherche für mein neues Stück lese ich das sehr erhellende Buch „Bilder des Alterns“ von Sabine Kampmann. Es ist eine Aufarbeitung visueller (künstlerischer und medialer) Darstellungen von Alter und alten Menschen und konzentriert sich auf das Anschauen: Wie schauen wir auf alte Menschen und, da es aus einer feministischen Perspektive geschrieben ist, insbesondere auf alte Frauen. Der Fokus liegt auf der Außenwahrnehmung und es fehlt, wie diese auf sich selbst und wiederum auf andere (Jüngere wie Alte) schauen. Das konfrontiert mich mit der ersten Herausforderung meiner Arbeit, die mir zugleich etwas peinlich ist: Es fällt mir schwer, mich in meine Figur, die eine cis Frau im Rentenalter ist, hineinzuversetzen.
Bei der Recherche zum Thema Alter, insbesondere alternde und ältere Frau, denke ich immer wieder über meinen eigenen Körper nach. Die Cisnormativität, die sich durch alle Texte und Dokus zieht, zwingt mich dazu. Beispiel Menopause: Eine Frau spricht von transdermaler Hormontherapie, eine andere von vaginaler Atrophie. Sie sind wütend, denn Gesellschaft und Medizin wissen ihnen nicht zu helfen und wollen es auch nicht. Es gibt bei den Betroffenen aber keine Öffnung des Blicks auf Jene, die das auch kennen, die dabei aber keine cis Frauen sind. Denn zu einer bestimmten, schrecklichen Art von Feminismus gehört es, sich selbst als alleinige und damit einzigartige Leidtragende zu konstruieren.
Entfremdung, Trauer und Schock über starke Veränderungen des Körpers sind auch mir vertraut. Ebenso weitere Aspekte dieser spezifischen Lebensphase. Parallel zur Arbeit am Stück setzt mein eigener Menstruationszyklus nach vielen Jahren Testosteron wieder ein und eine innere Stimme sagt: Funktioniert ja doch noch. Puh. Ein Gefühl der Erleichterung, das so gar nicht zu meinem Leben, in dem die Nutzung des Uterus ausgeschlossen ist, passt.


Auch die Inwertsetzung des Körpers spielt eine größere Rolle in meiner Recherche, als ich zunächst erwartet hatte: Für antike und spätmittelalterliche Darstellungen nackter, alter Frauen standen in der Regel Sexarbeiter*innen Modell, anhand einer Skulptur wird sogar gezielt eine alte Sexarbeiterin verhöhnt. Kampmann erläutert, dass die monströs-groteske Darstellung des alten Frauenkörpers zur Belustigung diente, zugleich aber auch die erotische Macht “der Frau” mit einem Verfallsdatum ausstatten und dadurch verringern sollte. Im Falle der Sexarbeiterin ist die (angeblich) schwindende erotische Anziehung direkt an ihre Subsistenz und somit an ihr Überleben gekoppelt.
Auch im Film Paradies:Liebe1 von dem österreichischen Regisseur Ulrich Seidl von 2012 ist die Inwertsetzung der körperlichen Jugend ein zentrales Thema. Wir sehen nackte, alte Frauenkörper, doch sind sie ohne lustvollen Blick inszeniert, weder andere Figuren im Film noch wir Zuschauenden sind eingeladen, sie zu begehren. Das Verlangen nach Sex können diese Frauen nur stillen, indem sie einen Ortswechsel vornehmen: Als weiße, wohlhabende Europäerinnen nehmen sie in Kenia Sexarbeit von Schwarzen, ärmeren Afrikanern in Anspruch. Der Sex mit den jungen Männern kann eine Befriedigung ihrer Lust sein, ist aber keine sexuelle Emanzipation. Es ist ein Rollenwechsel, ermöglicht durch das koloniale Machtgefälle. Sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen ist kein Empowerment. Die Darstellung der historisch vom transatlantischen Sklavenhandel geprägten Sexualisierung Schwarzer Männer durch weiße Frauen ist im Film von Gewalt durchzogen. Außerdem kann sie die antike Erzählung der “Vetula”, der alten Frau, die ekelerregend und dabei gierig vor Lust ist, nicht destigmatisieren, sondern spitzt sie zu.
Auch in dem Film Wolke 9 von Andreas Dresen, nur vier Jahre vor Paradies:Liebe erschienen, sollen wir die alten Menschen beim Sex nicht begehren. Ähnlich nüchtern und klinisch sind sie inszeniert, der Sex bleibt heteronormativ-unrealistisch (Orgasmus nach einer Minute Cowgirl) und die Storyline patriarchaler Horror: Frau verliebt sich neu und verlässt Ehemann für anderen Mann, Ehemann wird gewalttätig und tötet sich anschließend selbst. (Man kann noch froh sein, dass die Frau das Drama überlebt hat!)
Je tiefer ich mich in die Recherche begebe, desto mehr beschäftigt mich das Dahinterliegende: Die abwertenden Darstellungen, die die “Vetula”-Trope bedienen, laufen alle darauf hinaus, dass eine nicht-mehr-gebährfähige Frau, oder wer dafür gehalten wird, kein Lebensrecht besitzt. Sie soll nicht existieren.
Nach zwei Wochen mit den alten Körpern ändert sich mein Fokus. Ich denke über Plot und Konzept nach. Und stolpere über ein anderes Problem: Meine Figuren sind als passive, nicht-aktive Figuren angelegt. Sie leben nicht. Das Leben geschieht ihnen.
In Gesprächen mit anderen Autor*innen bestärkt sich meine Theorie, dass diese Passivität der Figuren ein trans Ding ist. Dass wir als trans Autor*innen zu dieser Passivität neigen, weil wir 1. es aus unserer Vergangenheit gewohnt waren, in entscheidenen Lebenslagen keine Agency zu haben und passiv durchhalten mussten, also abwarten auf bessere Zeiten. Und weil wir 2. in unserem heutigen Leben passiv darauf warten (müssen?) dass man uns als „real“ anerkennt, uns also die Erlaubnis gibt, zu wollen, zu verlangen, zu begehren. 3. weil wir obsessiv darüber nachdenken, was man alles falsch machen könnte und es deswegen unseren Figuren nicht erlauben, jemals etwas falsch zu machen, was sie zur Passivität verdammt. Zuletzt 4.: Darin steckt auch die Vorstellung, dass passiv „besser“ weil „unschuldiger“ sei als aktiv, eine zwanghafte Suche nach der eigenen Unschuld.
Die Angst, meinen Figuren weh zu tun, hat mich bis zu diesem Punkt daran gehindert, Plot und Schauplatz wirklich zu entwickeln. Im Gespräch mit meiner Dozentin ermutigt sie mich, den Schrecken wirklich zu denken. Ein Genre kann die Gewalt und den Schmerz abmildern, sagt sie. Also werde ich in Richtung Horror gehen. Der Schauplatz meines Textes darf und soll ein Ort des Horrors werden. Das habe ich mir lange verboten, denn ich wollte, dass es meinen Figuren gut geht. Tod und Schmerz sollten nur aus Rache stattfinden, immer aus Rache an denen, die es verdient haben. Doch schon mein letztes Theaterstück empfanden Zuschauer*innen als Horror, zumindest manche zarteren Seelen. Beim Schreiben war ich noch der Meinung, ich hätte die Realität humorvoll abgemildert. Es ging um Walrösser, welche von den Menschen eingesperrt, beobachtet, verstümmelt und verspeist wurden. Ich schämte mich dann, da ich meiner Community, die aus Walrössern besteht, den realen Horror nicht auch noch im Theater hatte zumuten wollen.
Jetzt empfinde ich trans Horror als befreiend. Bei Gretchen Felker-Martin und Allison Rumfitt bspw. tut er gut, ist er fast reinigend, klärend. Bei Felker-Martin, wo die Figuren schreckliche Qualen erleben und elende Tode sterben, ist der Horror ehrlich. Ein Ende des Gaslighting, ein Ende des “Alles ok, haha”; er ist klar und deutlich: Doch, es stimmt. Es ist wirklich so schlimm.
Bei Rumfitt ist der Horror sehr sexuell, kinky, anturnend, sie lässt die Figuren erniedrigende Sexszenen durchleben und sich selbst mit Parasiten infizieren. Er soll Ekel hervorrufen mehr als Angst oder Schmerz (denke ich) und testet Grenzen aus: Wie grässlich kann es noch werden? Wie weit wird diese Figur noch gehen?
Beide geben mir ein Gefühl von Sicherheit, da ihre Figuren so beschädigt und verwerflich sind, so fehlerhaft. Sie sagen:
Man kann durchaus beschädigt, verwerflich und fehlerhaft sein.
Gierig und abstoßend.
Alt und nicht gebärfähig.
Eine groteske Vetula, nicht auszumerzen seit der Antike.
A grotesque Vetula, impossible to eradicate
For those in a hurry: Today on 31st october I will be reading the following text at the Gnocchi Horror Triple Feature event in Leipzig, one of many counter-events to the right-wing book fair in Halle an der Saale. At 7 p.m. at Wächterstraße 34. Come over!
In the summer, I spoke again with Anna from the #kulturrelevant podcast, this time about cultural policy, humor, and socialization. You can listen to the episode in the German intro above.
I would also like to draw your attention to the new texts by my mentee Merlin Ferox, which are well worth reading (both in German): About the passport entry “gender diverse” and about the self-organization of Russian anarchists in the German exile. 
And not to the piece:
An anti-aging mask is sinking in while I work on this text. It’s supposed to nourish my skin so that it doesn’t form dryness lines. My face is becoming completely smooth, giving me a little more time before I’m old. The white substance on my face smells like cream, and my roommates exclaim “ohhh!” in admiration. They interpret the mask as self-care and are happy for me.
I’ve been living in Vienna for a few weeks now. I came here to study creative writing and have been taken in by a Gen Z flat share, including two cats, in Vienna-Hernals.
I spend my days at my desk, reading, writing, reading; I have to set an alarm clock to remind me to take breaks. To make sure I actually get up from my desk, I devote myself to my beauty routines, most of which are a form of anti-aging measures.
In researching my new play, I am reading the very enlightening book “Bilder des Alterns” (Images of Aging) by Sabine Kampmann. It is an examination of visual (artistic and media) representations of age and old people and focuses on looking: how we look at old people and, since it is written from a feminist perspective, especially at old women. The focus is on external perception, and it lacks how they view themselves and, in turn, others (both younger and older). This confronts me with the first challenge of my work, which is also somewhat embarrassing for me: I find it difficult to feel into my character, who is a cis woman of retirement age.
When researching the topic of age, especially aging and older women, I find myself thinking about my own body again and again. The cisnormativity that runs through all the texts and documentaries forces me to do so. Take menopause, for example: one woman talks about transdermal hormone therapy, another about vaginal atrophy.
They are angry because society and medicine cannot help them and do not want to. However, the women close their eyes to those who also experience this, but who are not cis women. Because a certain, terrible kind of feminism involves constructing oneself as the sole and therefore unique victim.
Alienation, grief, and shock over major changes in the body are also familiar to me. As are other aspects of this specific phase of life. Parallel to my work on the play, my own menstrual cycle is resuming after many years of testosterone, and an inner voice says: So itt still works. Phew. A feeling of relief that doesn’t align with my life, in which the use of the uterus is out of the question.
The valorization of the body also plays a greater role in my research than I had initially expected: sex workers usually modeled for ancient and late medieval depictions of naked, old women, and one sculpture even specifically mocks an old sex worker. Kampmann explains that the monstrous, grotesque depiction of the old female body served as amusement, but at the same time was intended to give the erotic power of “women” an expiration date and thus diminish it. In the case of the sex worker, her (supposedly) dwindling erotic attraction is directly linked to her livelihood and thus to her survival.
The 2012 film Paradies: Liebe2 by Austrian director Ulrich Seidl also focuses on the value placed on physical youth. We see naked, old female bodies, but they are staged without a lustful gaze; neither other characters in the film nor we, the viewers, are invited to desire them. These women can only satisfy their desire for sex by changing location: as white, wealthy Europeans, they pay for sex work by Black, poorer African men in Kenya. Sex with young men may satisfy their lust, but it is not sexual emancipation. It is a role reversal made possible by the colonial power imbalance. Consuming sexual services is not empowerment. The film portrays the sexualization of Black men by white women, historically shaped by the transatlantic slave trade, very violently. In addition, it does not destigmatize the ancient narrative of the “vetula,” the old woman who is disgusting and yet greedy for lust, but rather accelerates it.
In Andreas Dresen’s film Wolke 9, released just four years before Paradies: Liebe, we are also not supposed to desire old people having sex. They are staged in a similarly sober and clinical manner, the sex remains heteronormative and unrealistic (orgasm after one minute of cowgirl), and the storyline is patriarchal horror: Woman falls in love again and leaves her husband for another man; husband becomes violent and then kills himself. (We can be glad that the woman survived the drama!)
The deeper I delve into my research, the more I am preoccupied with what lies behind it: the derogatory portrayals that serve the “Vetula” trope all boil down to the idea that an infertile woman, or who is considered to be so, has no right to live. She should not exist.


After two weeks with the old bodies, my focus shifts. I think about plot and concept. And I stumble upon another problem: my characters are designed to be passive, non-active figures. They don’t live. Life happens to them.
In conversations with other authors, my theory that this passivity of the characters is a trans thing is reinforced. That we as trans authors tend toward this passivity because 1. we were used to having no agency in decisive situations in our past and had to passively persevere, i.e., wait for better times. And because 2. in our lives today, we passively wait (have to wait?) for others to recognize us as “real,” i.e., to give us permission to want, to demand, to desire. 3. Because we obsessively think about everything that could go wrong and therefore don’t allow our characters to ever do anything wrong, which condemns them to passivity. Finally, 4. This also includes the idea that passive is “better” because it is “more innocent” than active, a compulsive search for one’s own innocence.
The fear of hurting my characters has prevented me from really developing the plot and setting up to this point. In conversation with my professor, she encourages me to really think about the horror. A genre can mitigate violence and pain, she says. So I’m going to go in the direction of horror. The setting of my text can and should become a place of horror. I had forbidden myself to do this for a long time because I wanted my characters to be happy. Death and pain should only occur out of revenge, always revenge on those who deserve it. But even my last play was perceived as horror by the audience, at least by some of the more sensitive souls. While writing, I still believed that I had softened reality with humor. It was about walruses that were imprisoned, observed, mutilated, and eaten by humans. I was ashamed because I had not wanted to subject my community, which consists of walruses, to this horror when they only want to go and see a play in the theater.
Now I find trans horror liberating. With Gretchen Felker-Martin and Allison Rumfitt, for example, it feels good, almost cleansing, clarifying. With Felker-Martin, where the characters experience terrible torment and die miserable deaths, the horror is honest. An end to gaslighting, an end to “Everything’s fine, haha”; it’s clear and unambiguous: Yes, it’s true. It really is that bad.
In Rumfitt’s work, the horror is very sexual, kinky, arousing; she has her characters endure humiliating sex scenes and infect themselves with parasites. It is meant to evoke disgust more than fear or pain (I think) and tests boundaries: How gruesome can it get? How far will this character go?
Both give me a feeling of security because their characters are so damaged and reprehensible, so flawed. They say:
You can be damaged, reprehensible, and flawed.
Greedy and repulsive.
Old and infertile.
A grotesque Vetula, impossible to eradicate since ancient times.
Ernstgemeinte Contentnote für Rassismus, den der Film reproduziert. Aus diesem Grund habe ich auch den Trailer an dieser Stelle nicht verlinkt.
Honest content note for racism that this movie reproduces. This is the reason I chose not to link to the trailer here.



